Mittwoch, 14. Oktober 2015

Buchstäblich auf den Spuren der Grizzlies zu Fuß unterwegs und nochmal Buckelwale

Weiter geht es zunächst einmal mit dem Rest des 11. Oktober:

Nach dem Lunch legen wir wieder mit dem Shuttleboot zum anderen Ufer ab. Wir, das sind Armin und ich, Judith und Anthony aus St. Albans und unser Guide Jay. Es regnet immernoch in Strömen. Wir haben aber regenfeste Jacken, Regenhosen und Gummistiefel an. Armin fährt Shotgun mit Jay und wir anderen drei setzen uns safaristyle hinten auf die Sitze auf der Ladefläche. Die ist zwar überdacht mit einer Plane, aber der Regen kommt schräg herein und die Plane nützt gar nichts. Wir rumpeln eine halbe Stunde -mindestens- zunächst am Parkplatz der Bärenbeobachtungsstation vorbei und dann immer weiter den Weg hoch über eine Piste voller Geröll in Richtung Berggipfel. Ein Stoat Weasel läuft über den Weg, sonst ist es ruhig, die Bären haben es unter den Bäumen trockener;)!

Schließlich hält der Wagen und es geht zu Fuß weiter. Vor ein paar Jahren hat die Lodge hier einen Boardwalk bauen lassen, der voll von Treppenabschnitten den Berg weiter hinauf bis zu einer Plattform unterhalb des Gipfels führt. Ich fühle mich auf dem Boardwalk relativ sicher, bis Jay erzählt, dass die Bären den Boardwalk bevorzugt nutzen, da sie hier schneller voran kommen als durch das Unterholz.

Also doch nicht sicher hier oben. Jay scheint aber zu wissen, was er tut. Vor uneinnehmbaren Biegungen singt er "He Yo" , das verjagt die Bären zwar nicht, führt aber dazu, dass sie nicht erschrecken, wenn man um die Ecke biegt. Angriffe erfolgen wohl vor allem dann, wenn die Bären überrascht werden. Der Guide hat übrigens hier immer einen Rucksack mit (Erste Hilfe Koffer??), Funkgerät, Messer und in einem Holster am Gürtel eine Dose Pfefferspray, die man in Kanada als Privatperson aber übriges nicht kaufen  darf. Trotz mehrerer Zusammentreffen mit Bären hat Jay das Spray nie benötigt. Generell seien die Grizzlies keine Monster, die ungefragt auf alles zugehen, dass 2 Beine hat, sondern im Grunde uninteressiert an Menschen. OKaaaaay.

Alle 200 Meter bleibt Jay stehen und erklärt uns die Pflanzenwelt, vor allem, welche Kräuter, Blätter, Rinden von den Indianern für  (besser: gegen)welche Krankheiten verwendet werden. Ein Nadelbaum ist besonders interessant, die Amabilis Fir oder Purpurtanne. Sie wächst im Regenwald der gemäßigten Zone von Oregon bis Yukon, hat einen schmalen silbernen Stamm, der mit kleinen Pickeln versehen ist. Die Purpurtanne ist einer der am schattenaffinsten Bäume und übersteht selbst Jahrzehnte nur im Schatten. Kratzt man einen der Pickel auf, läuft Harz heraus. Es riecht nach Fichtennadelbadesalz und wird von den Indianern schon immer zur Wundbehandlung benutzt. Mückenstiche, Schnittwunden, Amabilis hilft. Durch das klebrige Harz verklebt die Wunde zudem. Man kann den vitaminhaltigen Harz auch essen. Ich probiere einen Tropfen (schmeckt wie Badezusatz in Honigkonsistenz)und stelle hinterher fest, dass mir die Lippen zusammenkleben. Ich schlage Armin vor, mir das einfach öfter mal zu geben...;)! Findet er gut!

Außerdem lernen wir alle Beeren kennen (glücklicherweise sind die inzwischen fast alle ab und daher für die Bären uninteressant geworden), außerdem z.B: welche Blätter sich als Toilettenpapier eignen und welche man auf gar keinen Fall nehmen soll. Wir kommen glücklicherweise ohne Bären und ohne Toilettenpapier zu brauchen auf der Aussichtsplattform an, die einen weiten Blick über den Knights Inlet ermöglicht, allerdings ist alles grau in grau und voller Wolken. Auch auf dem Rückweg zum Wagen kommt kein Bär. Wir sehen aber frische Bärenspuren in Form von Pfotenabdrücken und Exkrementen ("Scat"). Ein Pfosten des Boardwalks ist bei den Grizzlies ein beliebter Kratz-"baum". Er dient der Kommunikation und wir sehen viele Haare daran kleben. Die Forscher, die in der Lodge leben (Post-Doc Melanie aus England und ihr Mitarbeiter, ein Doktorand) bringen übrigens in der Nähe bekannter Kratzbäume Webcams an und vergleichen dann die gefundene Haar-DNS mit den Bilder der Bären, um so Muster auszumachen. Auf der Webcam an der Bootsanlegestelle gegenüber der Lodge war vor ein paar Tagen ein Puma zu sehen.Wir fragen uns, wo die Schwelle liegt zwischen dem Extrathrill , den das Wandern im Grizzlyterritorium hat und ab wann es umschlägt in überwiegendes Unbehagen oder sogar Angst.

Ich springe später am Nachmittag, nach einem heissen Kaffe wieder warm geworden (die Rückfahrt im Auto haben wir alle drinnen im Wagen gesessen), auf ein Schiff, dass gerade die Inlet Tour macht.
Ein Buckelwal schwimmt nicht weit von der Lodge entfernt. Er läßt sich natürlich wieder nicht fotografieren (Teleobjektiv und schaukelndes Boot in kommender Dämmerung gehen leider gar nicht zusammen). Dafür höre ich das erste Mal einen Wal singen, oder besser sich beschweren. Der Guide erklärt, dass ihm etwas missfällt, also dem Wal. Es ist ein durchdringender Klagelaut.

Diesen Abend gibt es ein Thanksgiving Dinner , denn Thanksgiving Wochenende ist in Kanada jetzt (Sonntag, 11. und Montag 12.10.). Es gibt Truthahn und Schweineschinkenbraten, Kartoffelpüree und  Broccoli, Preiselbeeren, Gravy (Soße), Stuffing (Füllung), Salat und zur Vorspeise einen Berg Krabben, Krebsscheren und Spinatmousse im Teigboden. Zum Nachtisch Tante Friedas (oder so ähnlich) Pumpkin Pie, natürlich, was sonst!

Der Abendtalk wird von einem ruhigen Guide gestaltet, der -wie eine Gute-Nacht-Geschichte - die Story von Tom Brown erzählt. Tom Brown war mit seinem Vater im frühen 19. Jahrhundert aus Carlisle in Nordengland nach Kanada ausgewandert. Es war die Zeit des Goldrauschs und eine hektische Betriebsamkeit in den Häfen der Westküste. Der Kabinengenosse von Tom machte in Kanada sein Glück, fand Gold und baute damit eine Schiffahrtslinie auf, die die ganzen Außenposten der vielen Inseln und Inlets versorgte. Tom fand auf einem seiner Schiffe Arbeit. Einmal war das kleine Frachtschiff ,auf dem er durch seinen Kabinenfreund Arbeit gefunden hatte, im Knight Inlet unterwegs, um den Holzfällern und Trappern dort Dosenlachs zu bringen. Das Schiff kam in einen Sturm und ging unter, Tom war bewusstlos und wachte mit einem Arm über einer Kiste mit Lachs in Dosen am Ufer des Inlets wieder auf. Er rechnete damit, dass in den nächsten Tagen Hilfe kommen würde, da er davon ausging, dass das Schiff gesucht werden würde. Tom Brown hatte kein Werkzeug dabei und konnte sich so kein Kanu oder Floss bauen. Nachdem also nach 4 Wochen immer noch keine Hilfe kam und der Vorrat an Dosenlachs kleiner wurde, lebte er -den Bären abguckend- von Beeren, Schilfwurzeln und Fisch.
Um die lange Geschichte abzukürzen: 42 Jahre lebte er dort, mindestens. Zweimal kam nach vielen Jahren ein Trapper oder Holzfäller zufällig vorbei. Tom Brown erzählte seine Geschichte am Lagerfeuer. Jedoch beide Male war er spurlos verschwunden, wenn am nächsten Tag Hilfe kam. Er wurde nie wieder gesehen.

Danach geht es ins Bett und morgens um 6 Uhr wieder der Wecker. Vor dem Abflug wird es nämlich noch einen Bootsausflug um halb 8 beim ersten Tageslicht geben.

12. Oktober:

Nachdem der Regen am Vorabend nachgelassen hatte, klatscht es jetzt wieder in Strömen vom Himmel herunter. Ich ziehe den dicken Ganzkörperanzug mit eingebauter Schwimmweste an. Der Regen ist so stark, dass ich nur meine wetterfeste Kamera benutzen kann, trotz baldachinähnlicher Art Dach. Beim Besteigen des Bootes große Aufregung, direkt am Breakwater der Lodge (sprich hinter der aneinandergekettete Reihe Baumstämme, auf denen die Seehunde übernachten) taucht die große Schwanzflosse ("fluke" ) eines Buckelwales auf. Wir sehen ihn danach zwar immer wieder, aber es ist völlig unvorhersehbar, wo er auftaucht. Daher fahren wir weiter zum Estuary, also dem sumpfähnlichen Mündungsbereich des Glendale Rivers in die Glendale Cove.

Jetzt ist Ebbe und eine große Fläche Schlick ist freigelegt. Dort werden Lachse angeschwemmt, die nach dem Ablaichen abgestorben sind. Es ist schier unglaublich, aber Felsen, Stämme, Baumäste, alles ist voll von Adlern. Es sind mindestens 100 gleichzeitig. Am Ufer suchen drei Grizzlies nach fetter Beute. Einer hat wohl einen lebenden Lachs im seichten Wasser entdeckt und platsch ihm einige Meter durch das Wasser , dass hoch aufspritzt, hinterher. So ein bisschen haben Bären ja etwas zeichentrickmäßiges. Fototechnisch: siehe oben(Teleobjektiv und schaukelndes Boot in der Morgendämmerung gehen leider gar nicht zusammen). Aber man kann wunderbar mit dem Fernglas das Treiben beobachten. Die Lachse sind ein Schlachtfest für viele Tiere!

Dann geht es zurück zur Lodge und schon bald treffen die beiden Wasserflugzeuge mit neuen Gästen ein. In 2 Verschlägen (bezeichnet mit  Plane 1 und Plane 2) lagern am Steg, an dem die Flugzeuge nacheinander halten, die Koffer der Gäste und Abfall, der von den Flugzeugen mitgenommen werden soll. Aller Müll wird zum Festland zurückgebracht. Wir sind wieder im orangenen Flugzeug, Schwiegertochter, Frau und Enkelin-Baby des Lodgeinhabers fliegen unter anderem mit uns (Pilot scheint gut zu sein...), auf dem Schoß der Frau 4 Container mit  Thanksgiving Essen von gestern.

Beim Fliegen klart es ein bisschen auf-um bei Campbellriver wieder in Regen und Nebel überzugehen. An mehreren Stellen sehen wir Riesenflöße mit Baumstämmen, die an einem Logging-Dump ins Wasser gerollt wurden und dann offenbar irgendwie zusammengehört von Booten als riesige Baumteppiche weggebracht werden.

Wir verabschiedeten uns bereits am Kai von den Mitreisenden, die noch eine Nacht länger haben, denen die das andere Flugzeug nehmen und schließlich in Campbell River von denen, die mit uns geflogen sind. Es ist immer wieder eine besondere Gemeinschaft, die sich in den kleinen Lodges bildet. Man sitzt zusammen beim Essen, oder im Boot, taucht beim 6 o´clock sundowner (hier nicht sichtbar) die Erlebnisse des Tages aus und erfragt Reiserouten, erhält und gibt Tipps für die, die die Routen in anderer Reihenfolge machen und erfährt natürlich auch persönliche Hintergründe.
Es sind vielleicht 30-40 Leute da, inklusive eines Familientreffens der Lodgeeigentümer.

Armin und Frank (aus Chestershire, er war Forscher bei Astra Seneca) stellen fest, dass ein Mitarbeiter und Freund von Frank zu Bayer in die Pharma nach Wuppertal gewechselt ist, auch weitere Bekannte gibt es. Seine Frau ist Mathematikerin, hat als Demographin und (in den USA) als Lehrerin gearbeitet, ist seit ein paar Jahren pensioniert, hat sich gelangweilt und nochmal Architektur studiert und arbeitet heute als ehrenamtliche Archäologie-Teamleiterin für Projekte des National Trust. Dann ist da noch ein junges Paar aus Australien, Rachel und ihr Mann A (Rest vergessen), Judith und Anthony aus St. Albans, eine Alleinreisende junge Frau aus London und viele andere, deren Namen ich nicht behalten habe. Gabriel aus London und seine Mutter, zum Beispiel. Oder ein Paar aus Victoria, sie Spanierin, die schon als Kind nach Venezuela kam und in den USA studierte, er Ungar, der sich freute mit uns einmal deutsch sprechen zu können, da er in Bayern in der Schule war. Beide haben sich in Toronto kennengelernt und sind vor ein paar Jahren in der Westen gezogen, aus Leidenschaft für die Natur und Lebensart. Es sind auch ein paar Leute da, die von hier , also nach den Grizzlies nach Winnipeg weiterfliegen und von dort aus in der Tundra und in Churchill Eisbären gucken wollen. Das ist mir ein bisschen zu viel Trophy Hunting und kostet wahrscheinlich ein Vermögen. Generell sind alle Leute nett und enthusiastisch und Jay, der Gude bestätigt mir, dass nur Wenige zu der Gruppe "Abhaken" gehören.

Es ist aber schon so, dass eigentlich alle schon einmal in Afrika auf Safari waren und fasziniert von den Tierbegegnungen, dies auch in Kanada erleben wollen. Es sind Leute mit Northface  oder anderen Outdoor- Jacken (North Face gewinnt!) , Wanderschuhen, Regenjacken und Ferngläsern.

Vor allem Briten sind hier, nach Auskunft eines Guides sind dies 60 % aller Gäste, derzeit offenkundig noch mehr. Sehr viele Deutsche wohl nicht, aber die Lodge muss man natürlich erst einmal kennen und billig ist sie auch nicht. Warum dies so ist, ist eine interessante Frage zur Zielgruppenforschung.

Zurück in Campbell River fahren wir mit unserem Wagen immer weiter den Highway 19 in Richtung Norden. 185 Kilometer sind es noch bis Port Neil. Dazwischen liegt nur der Ort Boss und vorher noch, 10 km von der Straße entfernt, der kleine Ort Hayward. Sonst gibt es nur Wald und Wasser. In Woss müssen wir dringend tanken. Der General Store/Tankstelle sieht aus wie eine Filmlocation, nebenan ist eine Karaoke Bar mit Zielpublikum Logger. Sonst gibt es nur noch eine Handvoll Holzhäuser und einen Holzbahnhof, auf dem neben schwerem Gerät auch eine uralte Lok abgestellt ist.

In Port Mc Neill kaufen wir ein paar Lebensmittel ein, vor allem frische Sachen, weil wir nicht wissen, wie groß der Laden in Alert Bay ist und fahren um 14.15 Uhr auf die Fähre. Nach einer knappen Stunden kommen wir am kleinen Hafen an. Noch 1976 waren hier 1000 Boote im Hafen, entlang der Bucht gab es unzählige Pubs und das Taxiunternehmen kaufte eine Art Bus, mit dem es regelmäßig die einzelnen Pubs abfuhr. Wahrscheinlich hat der Niedergang mit dem der Fischschwärme zu tun. Das muss ich noch herausfinden. 132 Fahrzeuge gab es zudem in den 60er Jahren bei 6,4 Km Straße, ein Rekord , der den Ort in das Guiness Buch der Rekorde brachte.
Es gibt  jetzt viel Leerstand und aufgegebene Bootsschuppen, aber dennoch wohnen hier noch 1.500 Menschen, darunter viele First Nation Einwohner. Es ist jetzt halb fünf und Armin hat mich gerade herausgerufen, weil ein Boot anlegte und ein Schulbus auf den einen Pier fuhr. Die Schulkinder kommen zur Insel zurück!

Unsere Unterkunft, das Seine Boat Inn, ist ein ehemaliger Speicher zum Einsalzen der Fische, auf Stelzen über dem Meer. Ein Seine Boot war ein bestimmter Typ Fischerboot.
Wir haben ein großes Zimmer mit Bett, Sitzecke und Kochzeile und einem Panoramablick von 200 Grad über die Inner Passage. Armin kann also wieder den Harbourmaster spielen. Gestern haben wir einen Abendspaziergang in strahlender Sonne (endlich mal wieder!) zum einen Dorfende gemacht, vorbei am alten Indianerfriedhof. Heute haben wir einen zweiten Rundgang durch das Dorf in die andere Richtung gemacht und uns das Umista-Museum angesehen. Jetzt sitzen wir auf der Terrasse bzw. vor dem Fenster und faulenzen und gucken, ob wir doch noch ein paar Orcas sehen.

Morgen mehr zu den Indianern (First Nation) der Insel und ihren Totempfählen und Potlachs.

P.S. Sorry, bei den nachfolgenden Bilder hat das System die eigentlich chronologische Reihenfolge der Bilder durcheinandergebracht und ich kann es nicht im Nachhinein ändern!

Der Tagesplan in der Knight Inlet Lodge

Der "Above the Clouds Walk" 

Als Arznei verwendbar: Pflanzen, z.B. Deerfarn

Aussicht könnte besser sein...

Abschied von der Lodge

Kratzpfahl am Boardwalk: Bärenhaare

Im Umkleideraum der Lodge

Abschied von der Knight Inlet Lodge 2

Appetizer: Dungeness Crab, frisch geerntet

Einige der 100 Adler im Morgengrauen

Schlafzimmer in der Lodge

Originalgröße eines bekannten Grizzlies

Jess, eine der Guides

Die Lodge vom Flugzeug aus gesehen

Unendliche Wälder und immer wieder Wasser 


In der Ferne ein Holzfloß mit Schleppboot erkennbar

Im General Store von Woss

Der Holzfällerbahnhof

Unser Zimmer in Alert Bay, Cormorant Island

Namgis First Nation Begräbnisstätte

Totempfahl, immer von unten nach oben lesen

Unten die kinderfressende böse Waldhexe



Nochmals Knight Inlet, Grauschattierung

Alert Bay, das Haus in der Mitte ist unser Gasthaus

Alte Lok für Uli!

Woss General Store



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