Dienstag, 12. Juli 2016

Sinn und Unsinn von Kreuzfahrten

Würde ich noch einmal eine Kreuzfahrt machen?
Nein, es sei denn, die Destination ist nur so am besten erreichbar. Grönland/Spitzbergen vielleicht, Antarktis oder eine Flusskreuzfahrt auf dem Amazonas.

Ich habe in verschiedenen Kreisen von unserer Kreuzfahrt erzählt. Dabei habe ich immer klar gesagt, dass es Spaß gemacht hat mit den Freunden und ein schöner Urlaub war. Aber ich habe natürlich auch ausgeführt, dass es nicht die richtige Urlaubsart für mich ist und warum. Und, dass ich manchmal die Kabinenwand hochgegangen bin...!


Gut 29 Prozent der Reisen der Bundesbürger haben Deutschland  zum Ziel, rund 71 Prozent gehen ins Ausland. 8,1 Prozent der Reisen sind Fernreisen, rund 3 Prozent sind Kreuzfahrten, der Rest verteilt sich zu zwei Drittel auf Mittelmeerflugziele und ein Drittel auf
Reisen mit dem Pkw in Nachbarländer. Quelle: 
https://www.drv.de/securedl/0/0/1468432228/cb9ec41ab9c5141e3e32eb31655e0c26530f22f7/fileadmin/user_upload/Fachbereiche/Statistik_und_Marktforschung/Fakten_und_Zahlen/16-07-06_Zahlen_und_Fakten_2016_-_aktualisiert_und_deutsch.pdf

Nach den vorgenannten Zahlen des DRV sind Kreuzfahrten noch kein Massenphänomen, aber es ist eine wichtige Wachstumsbranche.

NACHFRAGE ÜBERSTEIGT KAPAZITÄTEN


  • Erneuter Passagierrekord mit 1,81 Millionen im Jahr 2015
  • 2,87 Milliarden Euro Reiseumsatz
  • 15,75 Millionen Übernachtungen deutscher Passagiere auf hoher See
  • Neue Schiffe werden Wachstum 2016 weiter ankurbeln
Die Nachfrage deutscher Urlauber nach Hochsee-Kreuzfahrten ist ungebrochen. Insgesamt 1,81 Millionen Gäste reisten 2015 mit einem Kreuzfahrtschiff, was einem Wachstum von 2,3 Prozent (2014: 1,77 Millionen Gäste) entspricht. Das ist das Ergebnis der Studie „Der Hochsee-Kreuzfahrtmarkt Deutschland 2015“
Quelle:https://www.drv.de/fachthemen/schiff/detail/deutsche-kreuzfahrtbranche-waechst-auf-mehr-als-18-mio-passagiere.html


1,81 Millionen Passagiere (and counting...) ist aber eine große Zahl von Urlaubern , mehr als die 1,5 Mio. Kurzurlaube der Deutschen in London.

Was ist so interessant daran?

Argument 1: Wie kann ich sonst in so kurzer Zeit so viele Ziele sehen?
Stimmt. Man fährt mit dem Schiff ja auch nachts, der Wechsel des Urlaubsortes funktioniert sozusagen im Schlaf.

Meine Meinung dazu: Will man das denn überhaupt? "Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort", hat schon in den 70er Jahren Hannes Wader gesungen. Wenn man Länder pro Urlaub sammeln möchte, könnte das Sinn machen. Wenn man Länder pro Urlaub kennenlernen möchte, macht es keinen Sinn.
Man sieht nämlich nicht viel! Zunächst einmal muss man spitz rechnen, wie teuer einer der Landausflüge ist. Teuer! "Upselling" schwemmt Geld in die Schiffskasse. Dafür darf man bevorzugt vom Schiff (die Busse warten ja), Individualtouristen müssen warten. Der Preis ist im doppelten Sinne hoch: Man bewegt sich bei diesen Ausflügen immer  in einer Masse Mensch fort , anfangend beim Sammeln vor dem Landgang in der Lounge, fortgeführt mit dem Bus, dazu kommen, wenn man Pech hat, noch die Busse der anderen 3 Kreuzfahrtschiffe im Hafen. Und wenn man ganz viel Pech hat, ankert das Schiff soweit von der Destination entfernt, dass man einen erheblichen Teil des Ausflugs im Bus verbringt. Die Zeit reicht immer für ein paar Fotos. Sie reicht aber selten für ein langsames Bummeln, für das Verweilen auf einer Parkbank oder in einem Café. Vor allem gibt es keinen Raum für Spontanität.

Nimmt man -wie wir- nicht an einem organisierten Ausflug teil, ist das aufwändig. Man muss sich genau über die Destinationen und Ausflugsziele in Reichweite informieren. Manche Schiffe bieten im Hafen auf dem Kai Mietwagen an. Viele aber nicht. Mietwagenunternehmen sind aber nicht unbedingt direkt am Kai angesiedelt und gerade in kleinen Destinationen gibt es nur eine beschränkte Zahl von verfügbaren Wagen.

Schiffe legen auch nicht immer im Yacht- oder malerischen Fischereihafen des Städtchens an, sondern leider öfters mal im Gewerbehafen außerhalb. Wenn man Glück hat, gibt es einen Shuttlebus UND das Städtchen ist nett und lohnt sich. Sonst muss man noch mit dem Taxi, Bus oder Zug weiterfahren. Auch dies bedeutet, dass man sich im Vorhinein gut informieren sollte.

Welche Variante man auch wählt, es ist immer nur ein klitzekleiner Ausschnitt, den man zu sehen bekommt. Die Zeit ist zu kurz. Sie wird noch kürzer dadurch, dass man bei der Ausflugsplanung berücksichtigen muss, dass man bereits eine halbe bis eine Stunde vor der Abfahrt wieder an Bord sein muss. Zur Sicherheit nimmt man daher nicht den letzten passenden Bus zurück zum Hafen, sondern lieber den vorvorletzten.

Ist die Abfahrt, wie häufig, z.B. für 17.00 oder 19.00 Uhr geplant, ist das Licht gut zum Fotografieren der Abfahrt und passend für das (bereits bezahlte) Abendessen an Bord. Aber man kommt nicht dazu, landestypische Tapas, oder Mezze oder Pasta oder Pies zu essen. Immer nur die Küche an Bord im immergleichen Ambiente. Zwar mannschaftsbedingt sprachlich durchaus international, aber nicht landestypisch bezogen auf die Reiseziele.

Man weiss, dass der Rosé in der Provence besser schmeckt als zuhause und der Malzwhisky in Schottland auch. Kreuzfahrer sind immer in der Hansebar, im Captain´s Club oder ähnlichen Barbezeichnungen mit maritimem Anklang. Noch schlimmer: Bei der Vorbeifahrt an der Isle of Skye gab es bayerischen Frühschoppen.

Argument 2 , unter Bezugnahme auf Argument 1:
"Ich weiss, man sieht nicht viel vom einzelnen Reiseziel, aber man bekommt einen Eindruck und  wo es einem besonders gut gefällt, kann man doch noch einmal in Ruhe wieder hin."

Meine Meinung:
Macht dann aber keiner.

Argument 3, unter Bezug auf Argument 1:
"Ich muss nicht immer das Zimmer wechseln und den Koffer neu packen"

Meine Meinung:
"Das ist dann wie eine Busrundreise im Wohnmobil".
Man kann statt dessen auch eine Rundreise machen und NICHT jeden Tag das Hotel wechseln. Dann sieht man vom einzelnen Ziel nämlich mehr. Man kann auch so packen, dass das Kofferpacken schnell geht. Mit unterschiedlichen Unterkünften lernt man mehr über die Vielfalt des Landes. Man kann anhalten, wo man will und wann man will.
Ein Wohnmobil hat gegenüber dem Schiff wenigstens noch den Vorteil der Freiheit der Selbstbestimmung.

Jedenfalls musste ich mich immer schütteln, wenn bei der Abfahrt der Kreuzfahrtdirektor per Lautsprecher die Passagiere zurück willkommen hiess: " Liebe Gäste, wir hoffen, dass es Ihnen in XYZ gut gefallen hat, willkommen zurück zuhause"?!

Argument 4:
Man hat ganz viele tolle Angebote zur Freizeitgestaltung auf dem Schiff.

Meine Meinung:
Cool für eingefleischte Robinson-Aldiana-Freizeitpark-Fans. Wenn man es mag.
Ich würde dann schon eher in ein Resort-Hotel gehen, da kann man auch mal weg, wann und wohin man will. Eines der neuen Super-Kreuzfahrtschiffe wird einen (echten) Wald auf Deck haben. Seriously?
Warum fährt man dann nicht in die Eifel, nach Kanada oder nach Finnland, wenn es Wald sein soll.

Argument 5:
Kreuzfahrten sind ideal für alte Leute, für Reiseunerfahrene, für Leute mit körperlichen Handicaps.

Meine Meinung:
Kommt darauf an. Auf kleineren Kreuzfahrtschiffen ist die Zahl der Aufzüge limitiert, die Rampen sind nicht ideal für Gehbehinderte. Manchmal schwankt das Schiff ganz ordentlich. Die Wege können weit sein. Bei Ausflügen zahlt man viel. Abgesehen von Flusskreuzfahrten sieht man von Bord aus nur in Hafennähe etwas vom Land. Auf der Plusseite sind die ärztliche Versorgung (bis hin zur Dialyse je nach Schiff) an Bord und die Geselligkeit. Auch Fremdsprachenkenntnisse sind je nach Crew nicht notwendig. Leider grassiert zuweilen der Norovirus.

Zusammenfassung:
Kreuzfahrten haben einen  Faktor Freiheitsberaubung.
Kreuzfahrten bedeuten viele Menschen an einem Ort.
Das Preis-Leistungsverhältnis ist -insbesondere im Hinblick auf die Ausflüge-schwierig. Hinzukommt, dass die Reisen teilweise sehr billig angeboten werden, die Preise schwanken ordentlich, dies führt zu einem starken Gefälle zwischen Vollzahlern und Schnäppchenjägern.
Kreuzfahrten kratzen nur an der Oberfläche, was das Kennenlernen einer Destination angeht.
Individualreisende kommen nicht auf ihre Kosten. Für die macht es nur da Sinn, wo es auf die Wahrnehmung gerade vom Boot aus ankommt. Eisberge, Pinguine, Eisbären, Narwale lassen sich so gut beobachten. Aber wenn, dann bitte von einem kleinen Schiff mit Expeditionscharakter. Dafür muss man allerdings heftig sparen..-oder träumen. Eine Woche Antarktis ab Ushuaia in Argentinien kostet gerne € 8.000,00 pro Person - nicht gerechnet die Anreise und das Hotel und Steak in Buenos Aires.

Was hat mir gut gefallen auf der Kreuzfahrt "Frühlingsfrisch und maigrün"- an Britanniens Küsten" mit der MS Astor:

Die Hafenein- und ausfahrten waren häufig sehr schön. Kein "Gänsehautmoment", wie die Aida-Werbung dies merkwürdigerweise nennt. Einfach nur schön zum Gucken!

Ein Morgenkaffee um 7.00 Uhr, fast allein, an Deck.

Mit den Freunden sich zum Frühstück oder Abendessen treffen.

Unsere selbst gebastelten Ausflüge. Dass sie zu kurz waren, war nicht so schlimm, da wir die meisten Ziele schon gut kannten.

An Deck lesen oder spielen. Aber nur zwei Stunden oder so. Danach wäre ich lieber richtig Spazieren gegangen.



"Mein Schiff 1" der TUI, von der "MS Astor" aus gesehen.

Platzangst schön getrunken.

Kabine auf der MS Astor

Endlose Gänge

Außendecks der MS Astor

Sundowner

Schöne Blicke beim Ausfahren in der Abendsonne.




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